Editorial
Geschätzte Wilerinnen und Wiler
In der pulsierenden Dynamik urbaner Entwicklungen stehen wir als Stadt Wil an der Schwelle von Veränderungen. Eine nachhaltige Stadtentwicklung, in der vernetzte Mobilitätslösungen nicht nur den Verkehr verbessern, sondern auch die Lebensqualität steigern, nimmt in der Ortsplanungsrevision eine zentrale Rolle ein.
Die Herausforderungen sind komplex. Die Koordination verschiedener Verkehrsarten, die Integration von Nachhaltigkeit und Umweltschutz, eine effiziente Raum- und Flächennutzung, die Förderung von Verhaltensänderungen, die Gewährleistung der Sicherheit, sowie die Einhaltung von finanziellen und rechtlichen Rahmenbedingungen erfordern unser kontinuierliches Engagement und innovative Lösungen.
Initiativen wie MONAMO zeigen, wie innovative Ansätze zur Mobilität – wie der Velolieferdienst «viaVelo» und Projekte zur Förderung der Elektromobilität – erfolgreich umgesetzt werden können. Die Einbindung der Bevölkerung in den Planungsprozess ist entscheidend, um diese Herausforderungen zu meistern und um sicherzustellen, dass unsere Lösungen auf breite Akzeptanz stossen.
Zudem braucht es Mut, solche Veränderungen anzustossen und Wege zu finden, diese auch umzusetzen. Es braucht ein Mass an gegenseitigem Verständnis und die Bereitschaft, aufeinander zuzugehen.
Einleitung
Stellen Sie sich vor, Sie leben an einem Ort, an dem Sie Wohnen, Einkaufen, Arbeiten, Ausgehen und Sport treiben – alles in nur wenigen Minuten zu Fuss oder mit dem Velo erreichbar. Klingt nach mehr Freizeit, weniger Stress und besserer Gesundheit, oder?
Genau das bietet dieser Ansatz: Gesundheit for free! Denn kurze Wege fördern Bewegung im Alltag, reduzieren Lärm und Abgase und machen Ihr Umfeld lebenswerter. Gleichzeitig schützen Sie die Umwelt und gewinnen Zeit für die Dinge, die wirklich zählen. So wird nachhaltige Mobilität zu einem Gewinn für Sie – und für kommende Generationen.
In diesem Newsletter tauchen wir tiefer in die Welt der modernen Mobilität ein. Doch zuerst eine Frage: Wie gut kennen Sie die Stadt Wil?
In welchem Quartier beträgt der Anteil an "grauer Fläche" über 50%? Graue Fläche = bebaute Fläche (alles was nicht natürlich grün/Natur ist)
a) Westquartier
b) Bildfeld
c) Zentrum
d) Südquartier
Was vermuten Sie? Die Antwort finden Sie am Ende des Newsbeitrags.
Verkehrsplanung im Wandel
Vernetzte Lösungen für eine nachhaltige Stadtentwicklung
Eine moderne Verkehrsplanung beschränkt sich nicht auf einzelne Massnahmen – sie betrachtet den städtischen Raum als Ganzes und berücksichtigt die vielfältigen Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung. In der Stadt Wil setzen wir auf integrierte Lösungen, die den Verkehr sicherer und effizienter machen und gleichzeitig die Lebensqualität in den Quartieren verbessern.
Dazu gehören unter anderem:
- Tempo-30-Zonen für mehr Sicherheit in Wohngebieten
- Massnahmen zur Schulwegsicherheit
- Bedarfsgerechte Gestaltungskonzepte (BGK) zur Anpassung von Strassenräumen
- Umsetzung von strategischen Konzepten, wie die Velostrategie 2016 oder Agglomerationsprogramme
Unser Ziel ist es, Verkehrsflächen nicht isoliert zu betrachten, sondern ihre Wechselwirkungen mit der Stadtentwicklung einzubeziehen. Verkehrsräume sollen verbinden, nicht trennen.
Um diese komplexen Zusammenhänge besser verständlich darzustellen, entwickeln wir eine digitale 3D-Welt für die Verkehrsplanung. Mit dieser interaktiven Umgebung können Massnahmen vernetzt und in ihrem räumlichen Kontext visualisiert werden – sei es für die Analyse von Problemstellungen oder zur Entwicklung nachhaltiger Lösungen. So lassen sich verschiedene Szenarien visualisieren und betroffene Quartiere können gezielt in den Planungsprozess einbezogen werden.
Eine ganzheitliche Verkehrsplanung ist ein zentraler Bestandteil einer zukunftsorientierten Stadtentwicklung. Durch die Kombination aus strategischen Konzepten, modernen digitalen Technologien und einer engen Zusammenarbeit mit der Bevölkerung schaffen wir in Wil die Grundlage für eine sichere, bedarfsgerechte, nachhaltige Mobilität.
Komplexität Gesamtverkehrskonzept der Stadt Wil
Das Gesamtverkehrskonzept (GVK) der Stadt Wil beschäftigt sich mit allen Verkehrsarten – vom Fuss- und Veloverkehr über den öffentlichen Verkehr bis hin zum motorisierten Individual- und ruhenden Verkehr (Parkplätze für Autos und Velos).
Seit rund einem Jahr arbeitet die Stadt Wil am Gesamtverkehrskonzept. Am 26. März 2024 fand dazu die erste Sitzung der Begleitgruppe statt, in der die Ergebnisse der Analyse sowie mögliche Entwicklungsgrundsätze diskutiert wurden.
Im Sommer 2024 nahm der Stadtrat den Zwischenbericht (Phasen 1 und 2) mit der Analyse und Zielen zur Kenntnis. Gleichzeitig begann die Ortsplanungsrevision (OPR) mit dem Siedlungs- und Freiraumkonzept. Im Herbst startete ausserdem die Zweckmässigkeitsbeurteilung für die Netzergänzung Ost (NEO), deren Resultate Einfluss auf das GVK, insbesondre das Verkehrsnetz haben.
Die Begleitgruppe GVK, bestehend aus Vertretern von Verbänden, Institutionen und Interessengruppen (bspw. Quartiervereine), nahm die Arbeit am 14. Januar 2025 wieder auf – abgestimmt mit dem Strategiekonferenzprozess.
Was wurde bisher diskutiert?
- Aktueller Projektstand des GVK und die Koordination mit der Ortsplanungsrevision
- Identifikation und Auseinandersetzung des Handlungsbedarf und der Zielbildern in einem Workshop
Aus der Analyse ergaben sich fünf Entwicklungsgrundsätze mit entsprechenden Zielen für die künftige Stadt, die der Stadtrat bereits im Sommer 2024 verabschiedet hat:
- Förderung der aktiven Mobilität: Ausbau des Veloroutennetzes, bessere Abstellmöglichkeiten für Velos, sicherere Schulwege,
- Zukunftsorientierte Mobilität: Förderung nachhaltiger Mobilitätsformen, Reduzierung verkehrsbedingter Belastungen
- Hochwertige Strassenraumgestaltung: Unfallprävention, mehr Aufenthaltsqualität.
- Zuverlässiges Verkehrsnetz: Sicherstellung der Leistungsfähigkeit des Strassennetzes, bessere Bushaltestellen-Infrastruktur
- Hohe Durchlässigkeit der Verkehrsnetze: Reduzierung von Barrieren durch grosse Verkehrsachsen, Ausbau des Bahnhofs Wil als Mobilitätsdrehscheibe.
Workshop und Beteiligung
Im Workshop lag ein besonderer Fokus auf der aktiven Mobilität, insbesondere der Weiterentwicklung des Velonetzes. Zusätzlich hatten die Mitglieder der Begleitgruppe die Möglichkeit, bis zum 2. Februar 2025 online (E-Mitwirkung) Rückmeldungen zu geben. Sechs Personen nutzten diese Gelegenheit, um ihre Anliegen schriftlich zu konkretisieren.
Nächste Schritte
Der nächste Schritt beinhaltet die Ausarbeitung konkreter Massnahmen für die verschiedenen Verkehrsmittel. Diese werden an der dritten Sitzung der Begleitgruppe am 20. Mai 2025 vorgestellt.
Die Entwicklung der Massnahmen erfolgt in enger Abstimmung mit der Ortsplanungsrevision. Dabei werden verkehrliche Fragen aus der Ortsplanung mit dem GVK verknüpft. Gleichzeitig setzt das GVK Leitlinien für eine koordinierte Siedlungsentwicklung. Dieses Zusammenspiel stellt sicher, dass Wil als Ganzes betrachtet wird und ein funktionierendes, aufeinander abgestimmtes Verkehrsnetz entsteht.
MONAMO Wil – Mobilität neu denken
Seit 2021 ist die Stadt Wil Teil des innovativen Programms MONAMO (Modellstadt nachhaltige Mobilität) des Bundesamtes für Energie. Dabei werden Städte unterstützt, Pilotprojekte im Bereich nachhaltige Mobilität zu testen. Das Programm fördert Innovationen und erlaubt es, neue Ansätze auszuprobieren. Im Rahmen von MONAMO Wil wurden in einem partizipativen Prozess mit verschiedenen Stakeholdern zahlreiche Projektideen entwickelt. Von den 20 ausgewählten Projekten konnten viele bereits umgesetzt werden. Die Erkenntnisse fliessen auch in das Gesamtverkehrskonzept der Stadt ein.
In Zusammenarbeit mit Mobility stehen in Wil inzwischen 12 Elektrofahrzeuge an fünf Standorten bereit. Der Velolieferdienst «viaVelo» wurde in Kooperation mit der Stiftung Heimstätten Wil ins Leben gerufen, damit Wilerinnen und Wiler ihre Einkäufe nachhaltig nach Hause liefern lassen können. Ein weiteres Projekt hatte zum Ziel, die Plattform DeineEnergie.ch so auszubauen, dass sie klimaschonende Lösungen für E-Mobilität und Photovoltaik-Strom aufzeigen kann. Die Schulwegkampagne «Ich kann das. Ich geh zu Fuss!» bringt jährlich rund 250 Kindergartenkindern spielerisch bei, wie sie sicher und energieeffizient unterwegs sind.
Hier ist einsehbar, wie die Bevölkerung konkret von MONAMO profitiert:
www.spielenergie.ch/nachhaltigemobilitaet
8 Fragen zu "Moderne Mobilität"
Was bedeutet moderne Mobilität? Dazu haben wir die Fachexpertin Sabrina Contratto befragt. Die Architektin und Urbanistin studierte an der ETH Zürich und am Politecnico di Milano und verfügt über umfassende Erfahrung in Architektur, Stadtentwicklung und Urban Management. Nach 20 Jahren als Partnerin und Geschäftsleiterin bei Baumschlager Eberle Zürich lehrt sie heute an den Fachhochschulen OST und HSLU. Zudem engagiert sie sich in Verwaltungsräten, Fachkommissionen und als Expertin bei Architektur- und Städtebauwettbewerben.
Bild/GIF Legende: Locarno, Verdichtung Morettina by CONT-S.
Sie beschäftigen sich intensiv mit der räumlichen Zukunft von Städten, Quartieren und Arealen. Dabei setzen Sie auf Ihre eigens entwickelte Methodik «UrbanVision», die Raumdaten mit Konzepten verknüpft und somit Quantität mit Qualität verbindet. Könnten Sie uns genauer erklären, wie diese Methodik funktioniert und welche Vorteile sie gegenüber herkömmlichen Planungsverfahren bietet?
Wir sind der Überzeugung, dass die Raumplanung – oder vielmehr die Stadt- und Quartiersentwicklung – neu gedacht werden muss. Die Raumplanung, wie wir sie heute kennen, ist quantitativ, zweidimensional, rückwärtsgerichtet und relativ starr. Die Stadtentwicklung hingegen ist dynamisch, wie sich insbesondere in den letzten Jahren gezeigt hat: Bevölkerungswachstum, Single- statt Familienwohnungen, Homeoffice statt Büro oder autofreie Stadt anstelle autoüberfüllter Zentren – um nur einige Beispiele zu nennen. Diesem Umstand versuchen wir Rechnung zu tragen, indem wir langfristige Visionen und Zielbilder entwickeln, die Daten mit räumlicher Qualität verbinden, planerische Dynamiken zulassen und dreidimensional ansprechend visualisieren, um eine künftige Entwicklung leichter kommunizierbar zu machen.
Welche Art von Daten fliessen in Ihre Analysen ein und welche Rolle spielen sie in Ihrer Planung?
Wir arbeiten durchgängig im dreidimensionalen GIS-Modell. GIS-Daten (Geoinformationssystem) sind digitale Informationen, die mit einem bestimmten geografischen Ort verbunden sind und helfen, Orte zu analysieren und zu verstehen. Vereinfacht gesagt, erfahren wir so, wie hoch die Personendichten pro Hektar sind, wie gut das ÖV-Angebot ist, wie intensiv das Freiflächenangebot genutzt wird, wie hoch das Gebäudealter ist, wie stark die Lärmimmissionen sind oder wie sich Pendlerströme bewegen.
Das heisst, Sie analysieren alle räumlich relevanten Faktoren – spielt die Mobilität dabei eine besondere Rolle?
Absolut. Mit der Datenanalyse erfolgt die quantitative Bewertung. Dabei beginnen wir stets mit der Betrachtung des ÖV-Angebots sowie der unmittelbaren Bewohner- und Beschäftigtendichte. Das bedeutet: Je besser die ÖV-Erschliessung, desto dichter sollte dieses Gebiet bewohnt sein. In Wil beispielsweise haben wir festgestellt, dass die Bevölkerungsdichte rund um den Bahnhof in einem Umkreis von ca. 1 km² nur 3.583 beträgt, während die Beschäftigungsdichte (VZÄ) bei 4.140 liegt. Aus Sicht einer haushälterischen Bodennutzung müssten jedoch doppelt so viele Menschen dort wohnen – bei gleichbleibender Anzahl an Arbeitsplätzen.
Welche Auswirkungen hat diese Diskrepanz auf das alltägliche Leben und die Mobilität der Menschen?
Stellen Sie sich vor, Sie leben an einem Ort, an dem Sie fast alles in 10 Minuten zu Fuss oder mit dem Fahrrad erreichen können: Wohnen, Einkaufen, Arbeiten, Ausgehen, Sport treiben. Dieser Ansatz würde nicht nur eine hohe Lebensqualität bieten, sondern auch für die Umwelt von grossem Vorteil sein. Eine solche 10-Minuten-Nachbarschaft hätte einen enormen Einfluss auf das Mobilitätsverhalten und würde den Besitz eines eigenen Autos überflüssig machen. Dies wiederum hätte positive Auswirkungen auf attraktive Fussgängerbereiche in Quartier- und Hauptstrassen, durchgängige und sichere Radwege sowie ein dichtes ÖV-Netz.
Wie stellt sich das Mobilitätsverhalten in Wil aktuell dar? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus?
Betrachtet man das Pendlerverhalten der Stadt Wil, zeigt sich, dass morgens 9'400 Personen von ausserhalb in die Stadt pendeln, während gleichzeitig 7'500 Wiler die Stadt zum Arbeiten verlassen – also ein Pendlersaldo von rund 1'900 Personen, eine kleine Völkerwanderung morgens und abends. Nun stellt sich die Frage, ob die Zupendler gerne in Wil wohnen würden, aber nicht können, oder ob die Wegpendler tatsächlich keinen passenden Arbeitsplatz in Wil finden.
Nur rund 4'400 Wiler wohnen und arbeiten in der Stadt, von denen jedoch 40% das Auto benutzen – eine immer noch sehr hohe Zahl. Was sagt uns dieses typisch schweizerische Bild? Kaum jemand arbeitet, konsumiert, flaniert oder trainiert mehr dort, wo er wohnt.
Was ist Ihr Ansatz, um diese Situation zu verbessern?
Nachdem wir die potenziellen 10-Minuten-Nachbarschaften identifiziert haben, setzt sich unser interdisziplinäres Team aus LandschaftsarchitektInnen, MobilitätsspezialistInnen, ÖkologInnen und SozialraumexpertInnen mit den vorhandenen Qualitäten des Ortes auseinander – insbesondere der Historie, der Topographie, dem Naturraum und den verschiedenen baulichen und freiräumlichen Identitäten. Diese gilt es sicherzustellen oder bei Bedarf zu stärken.
In einem nächsten Schritt entwickeln wir eine freiräumliche und städtebauliche 100-jährige Vision. Sie bildet eine maximale Verdichtung im Sinne einer 10-Minuten-Nachbarschaft ab, stets im Abgleich mit einem durchgängigen, attraktiven und ausreichenden Freiraumkonzept.
Gibt es Vorzeigebeispiele?
Kopenhagen – auch wenn es grössenmässig nicht direkt vergleichbar ist, sind die Ansätze in kleinerem Massstab auch für die Stadt Wil interessant! Diese Stadt hat das Ziel, bis spätestens 2028 die erste CO₂-neutrale Hauptstadt der Welt zu sein – und sie sind auf dem besten Weg dorthin. Fast 50% der Einwohner fahren täglich mit dem Fahrrad zur Arbeit oder Schule. Die Anzahl öffentlicher Parkplätze im Zentrum wurde stark reduziert und die Einführung einer City-Maut für Autos steht zur Diskussion. Insgesamt gibt es 400 km sichere, gut ausgebaute Radwege und zahlreiche Shared Spaces, in denen Autos, Fahrräder und Fussgänger gleichberechtigt sind.
Welche Empfehlungen haben Sie für die Stadt Wil?
Wil hat eine sehr interessante räumliche Konzentration und könnte von einer ähnlichen Strategie im Kleinen profitieren. Es wäre ratsam, im gut erschlossenen Bahnhofsgebiet und rund um die Altstadt Voraussetzungen für eine 10-Minuten-Nachbarschaft zu schaffen – also hohe Dichten, wenig Parkplätze und eine kluge Nutzung des vorhandenen Raumes.
Auflösung der Frage:
In welchem Quartier (s. untenstehende Karte) beträgt der Anteil an grauer Fläche über 50%? Graue Fläche = alles, was nicht natürlich grün/Natur (z.B. Gebäude, Strassen, Wege, Trottoir, Sportanlagen, Verkehrsinseln, Bahn, Wasserbecken, Abbau-Deponie. etc.
Antwort: in allen untenstehenden Quartieren!
a) Westquartier 50%
b) Bildfeld 51%
c) Zentrum 78%
d) Südquartier 60%